Ein 273 Gramm schwerer Start ins Leben

Pressemitteilung
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Ein 273 Gramm schwerer Start ins Leben: Gabriel, das leichteste männliche Frühchen Europas. Der kleine Gabriel und seine Brüder Michael und Raphael wurden am 11. Juli 2019 im Klinikum Graz geboren. Gabriel wog bei der Geburt nur 273 Gramm. Dank der perfekten Zusammenarbeit von Geburtshelfern, Kinderchirurgen und Neonatologen hat er seinen schweren Start ins Leben geschafft. Im US-Register „Tiniest Babies" wird er als das leichteste, männliche Frühgeborene Europas geführt. Er ist auch das kleinste Frühchen, das jemals in Österreich überlebt hat. (17. Juli 2020)

Familie Miskovic mit den Drillingen │ ©Maria Kanizaj / LKH-Univ. Klinikum Graz

Im Hause Miskovic gab's am 11. Juli 2020 so richtig was zu feiern, denn die drei kleinen Engel der Familie – Gabriel, Michael und Raphael – begingen ihren ersten Geburtstag. Quietschvergnügt, gesund und munter. Was im Fall der Drillinge alles andere als selbstverständlich ist, denn die Buben mussten in der 26. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden. Unglaublich: Der älteste, Gabriel, brachte damals nur 273 Gramm auf die Waage. Damit ist der Bub im weltweiten Register „The Tiniest Babies" das leichteste männliche Frühchen Europas und das fünftkleinste der Welt.

Für die Eltern waren die letzten zwei Jahre eine emotionale Berg- und Talfahrt sondergleichen. Zuerst die Freude über die Schwangerschaft samt der Botschaft, dass es Drillinge werden würden, gefolgt von der bitteren Nachricht, dass es bei der Blutversorgung der Babys Probleme gibt und Gabriel in Lebensgefahr schwebt. Danach der Kaiserschnitt, der alle drei zu Frühchen machte und Gabriel mit 273 Gramm minimale Überlebenschancen einräumte. Im Anschluss der monatelange Aufenthalt der Buben auf der Intensivstation der Neonatologie und die OP Gabriels kurz nach der Geburt, bei der er einen künstlichen Darmausgang bekam. Rückoperation fünf Monate später. Keine Atempausen also für Mama Anita und Papa Duro.

Intensivbetreuung an der Frauenklinik und im Kinderzentrum

Gabriel im Juli 2019 auf der Neo-Intensivstation │ ©LKH-Univ. Klinikum Graz

Von Beginn der Schwangerschaft an bis zum heutigen Tag wurden die Miskovics, die vor einigen Jahren aus Bosnien nach Graz gezogen sind, medizinisch und pflegerisch am LKH-Univ. Klinikum Graz betreut. Eine außergewöhnliche Zeit auch für Ärzte und Pflegepersonal. Die erfolgreiche Betreuung der Babys beweist aber einmal mehr, wie hochprofessionell und fokussiert unterschiedliche Berufsgruppen aus verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen am Klinikum zum Wohle der Patienten zusammenarbeiten.

Wahrscheinlichkeit weniger als 1:100.000

Das Team um Assoz.-Prof. Dr. Philipp Klaritsch von der Klinischen Abteilung für Geburtshilfe der Univ.-Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe betreute die Familie während der Schwangerschaft, die an sich schon außergewöhnlich ist. „Die Wahrscheinlichkeit einer Drillingsschwangerschaft mit nur einer gemeinsamen Plazenta liegt bei weniger als 1:100.000", erklärt der Spezialist, der die Babys auch auf die Welt holte. „Vor jeder Kontrolle habe ich gehofft, dass der Herr Doktor drei schlagende Herzen sieht. Dann konnte ich aufatmen", erzählt Mama Anita. An Klaritsch war es damals auch, den Eltern mitzuteilen, dass ihre Kleinen vom fetofetalen Transfusionssyndrom betroffen sind. „Dabei kommt es zu einem Blutaustausch zwischen den Kindern, der lebensbedrohlich sein kann. Bei Gabriel war das der Fall. Zusätzlich war er von einer besonders schweren Wachstumseinschränkung betroffen", fügt er hinzu. Da es aufgrund der speziellen Situation zudem nicht möglich war, die betroffenen Blutgefäße noch im Mutterleib im Rahmen einer Fetoskopie (siehe Infobox) zu veröden, entschied man sich mit den Eltern für einen Kaiserschnitt. Zwölf Personen – pro Kind zwei Ärzte und zwei Pflegepersonen – sowie das Geburtshelferteam waren bei der Geburt dabei. Während die beiden „Großen" je 800 Gramm auf die Waage brachten, wog Gabriel 273 Gramm. „Das hat uns alle sehr überrascht, denn er war noch um gut 70 Gramm leichter als wir erwartet hatten", so Klaritsch.

Darmverschluss: Gabriel am 14. Lebenstag operiert

Alle drei kamen sofort nach der Geburt auf die Intensivstation der Klinischen Abteilung für Neonatologie der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Gabriel musste bereits am 14. Lebenstag von Univ.-Prof. Dr. Holger Till, Vorstand der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie, und seinem Team operiert werden. „Aufgrund eines Darmverschlusses, der durch einen Stuhlpropf verursacht wurde, brauchte der Kleine zum Überleben einen künstlichen Darmausgang. Bei einem Leichtgewicht, wie Gabriel es war, ist ein derartiger Eingriff auch europaweit wahrscheinlich einzigartig", resümiert der erfahrene Kinderchirurg die extrem kritische Situation. Die Operation verlief komplikationslos, der künstliche Ausgang konnte fünf Monate danach rückoperiert werden. „Wir hatten auch das Gefühl, dass Gabriel der künstliche Ausgang gestört hat und er glücklich war, dass er ihn nicht mehr braucht", erzählt Papa Duro.

(v. li.) SL Eva Schwarz, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Schöll (Leiter der Klin. Abt. f. Geburtshilfe, Univ.-Klinik f. Frauenheilkunde und Geburtshilfe), Duro Miskovic mit Michael, Ass.-Prof. Dr. Wolfgang Köle (Ärztlicher Direktor Klinikum Graz), Anita Miskovic mit Gabriel, Univ.-Prof. Dr. Berndt Urlesberger (Leiter der Klin. Abt. f. Neonatologie der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde), Univ.-Prof. Dr. Holger Till (Vorstand der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie) und Frau Miskovic, Großmutter mit Raphael │ ©Marija Kanizaj / LKH-Univ. Klinikum Graz

Leichtestes Frühchen Europas

Univ.-Prof. Dr. Berndt Urlesberger mit Anita Miskovic und Gabriel │ ©Marija Kanizaj / LKH-Univ. Klinikum Graz

Gabriel wurde sieben Monate lang auf der Neonatologie intensivmedizinisch betreut, seine Brüder durften nach vier Monaten nach Hause. „Die lange Zeit dieser Betreuung, die einem Marathon gleicht, war eine unglaublich große Herausforderung für alle, d. h. sowohl für die Eltern, als auch für das medizinische Personal", erinnert sich Univ.-Prof. Dr. Berndt Urlesberger, Leiter der Klinischen Abteilung für Neonatologie, an die intensive Zeit. „Es zeigte sich rasch, dass besonders Gabriel in Bezug auf sein Herz-Kreislaufsystem sehr unter der Situation im Mutterleib gelitten hatte und besonders viel intensivmedizinische Unterstützung benötigte. Seine geringe Größe erforderte viele Speziallösungen, sowohl technischer als auch medizinischer Natur. Ich bin sehr froh und stolz, dass es uns gelungen ist, Gabriel und seine Brüder nach den vielen Monaten der Intensivtherapie gut nach Hause entlassen zu dürfen. Das gesamte Team hat Großartiges geleistet", ist der Neonatologe sichtlich stolz.

Die Eltern sahen jedem Besuch auf der Station mit gemischten Gefühlen entgegen. „Ich hab‘ mir aber immer gesagt, sie rufen uns schon an, wenn mit den Buben etwas ist", erzählt Anita Miskovic. An den 11. August 2019 erinnert sie sich aber besonders gerne: „Da durfte ich mir Gabriel zum ersten Mal auf die Brust legen", strahlt sie noch heute bei dem Gedanken daran. Diese Känguru-Methode wird in der Neonatologie eingesetzt, um die Bindung zwischen Babys und Eltern zu stärken.

Gabriel wiegt heute etwa fünfeinhalb Kilogramm

Bei seiner Entlassung wog Gabriel 3,5 kg, heute zeigt die Waage bei ihm ca. 5,5 kg an. Seit Mitte Juni braucht er keine Sondenernährung mehr und er hat gelernt, sich zu melden, wenn er Hunger hat. Auch mit seiner motorischen Entwicklung sind die Ärzte zufrieden. Allerdings: Es geht bei ihm halt alles ein bisschen langsamer als bei anderen Kindern. Ab und zu übertrumpft er dennoch seine Brüder: Aktuell ist er der einzige der drei, der durchschläft, denn Michael und Raphael, beide jeweils etwa 7,5 kg schwer, bekommen gerade Zähne.

Nach wie vor finden sich die Drillinge regelmäßig zu Kontrollen auf der Neonatologie ein, Gabriel am häufigsten. „Er war und ist einfach unser Star", sagt Stationsleitung DGKP Eva Schwarz über den Kleinen, der gerade völlig entspannt wieder eine Blutabnahme über sich ergehen lässt. Er ist eben mittlerweile in puncto Gesundheitschecks ein echter Profi.

Graz als Zentrum für Fetofetales Transfusionssyndrom

Ein Fetofetales Transfusionssyndrom (FFTS) ist eine zwar selte, aber schwere Durchblutungs- und Ernährungsstörung bei eineiigen Mehrlingsschwangerschaften. Durch die Verbindung der kindlichen Kreisläufe über Blutgefäße auf der Plazentaoberfläche gibt dabei ein Kind mehr Blut an das andere Baby oder die anderen Kinder ab, es gibt einen „Spender“ (Donor) und „Empfänger“ (Rezipient). Während der Spender kontinuierlich Blut verliert, kommt es beim Empfänger zu einer Kreislaufüberlastung. FFTS führt zu einer ungleichen Fruchtwasserverteilung und ist häufig auch mit einem unterschiedlichen Wachstum der Kinder verbunden. Unbehandelt kommt es in 90 Prozent der Fälle zum vorgeburtlichen Versterben der Kinder. Die Grazer Univ.-Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist in Österreich die einzige Klinik, die auf die Behandlung des FFTS spezialisiert ist und diese durchgehend anbieten kann. Mittels Fetoskopie, einem endoskopischen Eingriff durch die Bauchdecke der Mutter, werden die verbindenden Blutgefäße der Kinder auf der Plazenta durch Laserstrahlen verödet und überschüssiges Fruchtwasser abgesaugt. Nach erfolgreicher Operation sind die Blutkreisläufe der Mehrlinge voneinander getrennt. Pro Jahr werden in Graz ca. 30 solcher Operationen durchgeführt.

Das Register „The Tiniest Babys“

Das Register der Universität lowa, in dem auch Gabriel erfasst ist, enthält Daten von Babys, die mit einem Gewicht unter 400 Gramm zur Welt kommen. Intention des Registers ist es, Daten von Frühgeborenen in Hinblick auf Gesundheit, Wachstum und Entwicklung zu sammeln und zu vergleichen. Das weltweit leichteste Frühchen, das überlebte, war ein Mädchen aus Kalifornien, das bei der Geburt 245 Gramm wog. Generell ist die Überlebensprognose für frühgeborene Mädchen besser als für Buben, auch für Einlinge besser als für Zwillinge oder Mehrlinge. Gabriel ist das leichteste, männliche Frühchen Europas, unter allen Buben im Register ist er weltweit an fünfter Stelle gelistet, unter allen Kindern weltweit an 14. Stelle.

https://webapps1.healthcare.uiowa.edu/TiniestBabies/index.aspx

Ein Neugeborenes gilt als Frühgeborenes, wenn die Schwangerschaft kürzer als 37 Wochen andauert. Ab der Vollendung von 23. Schwangerschaftswochen werden Kinder in Graz intensivmedizinisch betreut. Diese untere Grenze, die oft als „Grenze der Lebensfähigkeit" bezeichnet wird, hat sich in den vergangenen 30 Jahren stark verändert. Um 1990 lag sie bei 28 Wochen, sank dann auf 25 Wochen (um 2000) und liegt derzeit bei ca. 23 Wochen. In den vergangenen zehn Jahren lag der Schwerpunkt aller intensivmedizinischen Fortschritte mehr im Bereich Verbesserung der Lebensqualität als in neuerlicher Reduktion der Zahl an Schwangerschaftswochen. Die Überlebensrate aller Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 g liegt in Graz bei etwa 90 Prozent.

Kontakt

Pressestelle des LKH-Univ. Klinikum Graz
Mag. Simone Pfandl-Pichler
Auenbruggerplatz 1, 8036 Graz

Telefon: +43 316 385-87791
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