MANV 100: Gemeinsam mit Empathie gemeistert
Was vor zwei Wochen, am 10. Juni, im Grazer Bezirk Lend passiert ist, war auch fĂŒr die Mitarbeiter*innen des Uniklinikum Graz kaum zu begreifen. Die Notfallteams standen vor einer medizinischen Herausforderung, die sie auch persönlich tief berĂŒhrte. Aber es hat sich gezeigt: Dank der intensiven Vorbereitung und dem umfassenden Training, das die Mitarbeiter*innen regelmĂ€Ăig absolvieren, funktionieren die NotfallplĂ€ne fĂŒr einen âMANV 100â (Massenanfall mit bis zu 100 Verletzten) auch in so einem tragischen Fall wie an diesem Tag nicht nur reibungslos, sondern werden von den Beteiligten hochkonzentriert und mit einer groĂen Portion MitgefĂŒhl fĂŒr die Patient*innen umgesetzt â sowohl an der Univ.-Klinik fĂŒr Kinder- und Jugendchirurgie als auch am neuen UniversitĂ€ren Zentrum fĂŒr Akutmedizin, das seit Ende 2024 in Betrieb ist.
âNotfallversorgung folgt selbstverstĂ€ndlich auch am Uniklinikum Graz immer einem vorab definierten Notfallplan, in dem klar geregelt ist, welche Aufgaben zu ĂŒbernehmen sind und wie Prozesse ablaufen sollen. Aber letztlich sind es die Menschen vor Ort, die so einen Plan mit Leben fĂŒllen, ihn umsetzen und damit wirklich groĂ machen. Zu sehen, mit wie viel Menschlichkeit und Teamgeist die Kolleg*innen aus allen Bereichen das getan haben, hat mich wirklich mit Stolz erfĂŒllt â Stolz, Teil dieses Teams zu seinâ, erinnert sich Barbara Hallmann von der Univ.-Klinik fĂŒr AnĂ€sthesiologie und Intensivmedizin, die am Tag des Amoklaufs die medizinische Einsatzleitung am LKH-Univ. Klinikum Graz innehatte.
Ihre Funktion ist eine von gut 15 Schnittstellen, die am 10. Juni 2025 definiert waren, um eine effiziente Versorgung der Verletzten vom Zeitpunkt des Eintreffens am Uniklinikum bis zu ihren jeweiligen, weiterfĂŒhrenden Behandlungen zu gewĂ€hrleisten. Dabei zĂ€hlen die Positionen der âManager of the dayâ (eine*r fĂŒr den medizinischen und eine*r fĂŒr den pflegerischen Bereich, kurz MOD) und die des Traumaleaders zu Standardpositionen im ZAM-Alltag. Die restlichen Funktionen werden situationsbedingt zusĂ€tzlich festgelegt â von der Einsatzleitung ĂŒber die*den TriageĂ€rztin*arzt, koordinierende OberĂ€rtzinnen*Ă€rzte und Pflegepersonen bis hin zum Management von OP-SĂ€len, Intensivstationen und BehandlungsplĂ€tzen. Auch an der Univ.-Klinik fĂŒr Kinder- und Jugendchirurgie (KC) sind die entsprechenden Teams und Spezialist*innen festgelegt, um eine effiziente und koordinierte Versorgung der jungen Patient*innen sicherzustellen.
Des Weiteren wurde fĂŒr beide Notaufnahmen das psychosoziale Krisenteam verstĂ€ndigt, das dann mit insgesamt zwölf Personen fĂŒr die Betroffenen und Angehörigen zur VerfĂŒgung stand. FĂŒr die GesprĂ€che mit Eltern und Freund*innen der Patient*innen hatte man eigene Ruhezonen geschaffen. âDas Team besteht aus Klinischen Psycholog*innen und FachĂ€rztinnen*Ă€rzten fĂŒr Psychiatrie, die durch ihren Einsatz auch das medizinische Personal entlasten, damit es sich hundertprozentig auf die medizinische Versorgung der Betroffenen fokussieren kannâ, erklĂ€rt Leonie Rath, Krisenkoordinatorin des Klinisch-Psychologischen Dienstes am Uniklinikum Graz.
Bei Alarm âMANV 100â in wenigen Minuten startklar!
Das tragische Ereignis vor zwei Wochen wurde von den EinsatzkrĂ€ften im Grazer Bezirk Lend, in dem sich die betroffene Schule befindet, als âMANV 100â (steht fĂŒr âMassenanfall mit bis zu 100 Gesamtverletztenâ) ĂŒber ein elektronisches VorankĂŒndungssystem als Alarm in SpitĂ€lern ausgelöst. Exakt um 10:08 Uhr war dieser Alarm in den Notaufnahmen des Uniklinikum Graz hörbar und setzte somit den internen Krisenplan in Gang. Im Zuge dessen wird von den Einsatzleiter*innen der Notaufnahmen auch die Direktion informiert, die wiederum den ĂŒbergeordneten Krisenstab des Uniklinikum einberuft. Diesem gehören neben den Direktor*innen auch Vertreter*innen aller Abteilungen an, die im Hintergrund dafĂŒr sorgen, dass das klinische Personal seine Arbeit ungestört ausĂŒben kann: vom Servicemanagement ĂŒber den Technischen Dienst bis hin zum Sicherheitspersonal. Bereits um 10:15 Uhr meldete das Uniklinikum retour, dass man als Zentralkrankenanstalt sofort KapazitĂ€ten fĂŒr die Versorgung von bis zu 50 Patient*innen hat.
Nur sieben Minuten brauchte es also, um eine Bestandsaufnahme der vorliegenden Ressourcen durchzufĂŒhren â sowohl hinsichtlich des verfĂŒgbaren Personals als auch der rĂ€umlichen KapazitĂ€ten. Sofort wurde unter FederfĂŒhrung der Pflege damit begonnen, unterschiedliche Versorgungszonen einzurichten, in denen die Verwundeten â je nach Schweregrad der Verletzungen â behandelt werden konnten. Insgesamt standen nach wenigen Minuten vier voll aufgerĂŒstete SchockrĂ€ume im ZAM und zwei SchockrĂ€ume im Kinderzentrum zur VerfĂŒgung. âIn einem Schockraum werden Personen mit lebensbedrohlichen Verletzungen erstversorgt, d. h. die Patient*innen werden so gut es geht stabilisiert und der Grad ihrer Verletzung wird eruiert. Am ZAM bestand ein Schockraumteam an dem Tag aus zwölf Personen. Da wir es mit Schussverletzungen zu tun hatten, die bei uns sehr selten vorkommen, haben wir uns alle nochmals von medizinischer Seite her damit auseinandergesetzt. Denn wenn die Patient*innen dann da sind, zĂ€hlt einfach jede Minute. Durchschnittlich 19 Minuten dauert die Erstversorgung in unserem Schockraum. Da muss jeder Handgriff sitzen und du musst wissen, was du tustâ, erinnert sich Paul Puchwein, einer der behandelnden OrthopĂ€den/Traumatologen, an die Zeit vor dem Eintreffen der ersten Patient*innen.
FĂŒr alle anderen Verletzten wurden insgesamt 16 BehandlungsplĂ€tze (12 ZAM, 4 KC) geschaffen sowie Bereiche fĂŒr die Angehörigenbetreuung und ein weiterer separater Bereich fĂŒr jene Patient*innen definiert, die zu dem Zeitpunkt unabhĂ€ngig von dem Amoklauf am Uniklinikum waren. âIm ZAM sind das etwa 60 Personen gewesen. Viele davon konnten wir nach Hause entlassen, einige brauchten aber nach wie vor unsere Hilfeâ, erklĂ€rt Philipp Kreuzer, operativer Ă€rztlicher Leiter des ZAM und am 10. Juni Medizin-MOD.
Des Weiteren wurden am Uniklinikum alle geplanten Operationen gestoppt, um ausreichend OP-SĂ€le und Intensivbetten fĂŒr die Verletzten zur VerfĂŒgung zu haben, denn nach der Erstversorgung sind es die (Kinder-)Chirurg*innen des Uniklinikum, die die entsprechenden Eingriffe vornehmen. So formierten sich in wenigen Minuten die OP-Mannschaften von 17 OP-SĂ€len (13 ZAM, 4 KC) â inklusive der jeweiligen Spezialist*innen aus den chirurgischen SpezialfĂ€chern: von der Mund-, Kiefer- und Gesichts- ĂŒber die Neuro- bis hin zur Plastischen Chirurgie. âBis zum Eintreffen der Verletzen heiĂtâs dann einfach warten. Die Stimmung ist unglaublich angespannt, aber dennoch hoch konzentriert und von dem gemeinsamen Ziel geprĂ€gt, alles fĂŒr die Patient*innen zu geben. Auch wir gehen in der Zeit nochmals fachlich alles durch, um bestmöglich vorbereit zu seinâ, erklĂ€rt Kathrin Backhaus, Kinderchirurgin und Verantwortliche fĂŒr die medizinische Einsatzleitung in der Notaufnahme des Kinderzentrums am 10. Juni.
Damit die bestehenden Mannschaften in der Folge auch abgelöst werden konnten, wurden weitere 30 diplomierte Pflegepersonen aus ihrer Freizeit ans Uniklinikum geholt und Ărztinnen*Ărzte blieben nach Dienstschluss vor Ort. Somit war alles fĂŒr das Eintreffen der Verletzten vorbereitet. Um 10:44 Uhr wurde dann der erste Verletzte gebracht und nur eine Stunde spĂ€ter waren die sieben Schwerverletzten im Haus â bei zwei erfolgte der Transport per Hubschrauber, bei den anderen per Rettungsauto. Alle hatten Schussverletzungen unterschiedlichster AusprĂ€gung. âDa es vorkommen kann, dass sich der Zustand der Verletzten verĂ€ndert, bis sie bei uns eintreffen, schauen wir uns jede*n nochmals genauestens an, um die Art der erlittenen Verletzung zu bestimmen und entsprechend handeln zu könnenâ, erklĂ€rt Nicolas Eibinger, der Triagearzt an diesem Tag. Sechs Verletzten konnte am Uniklinikum geholfen werden, eine Person ist leider verstorben. Aktuell (Stand 24. 6. 2025) werden noch zwei Personen stationĂ€r versorgt.
Mit Teamgeist die psychische Belastung gemeinsam schultern.
Heute, 14 Tage danach, nehmen viele der Mitarbeiter*innen die psychosoziale Hilfe in Anspruch, die ihnen ĂŒber die Klinische Abteilung fĂŒr Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie des Uniklinikum Graz angeboten wird. WĂ€hrend man am Tag selbst die psychische Belastung innerhalb der Teams gemeinsam schulterte, ist es nach Einsatzende auch essenziell, mithilfe eines Mental Health Professionals den Blick auf das Erlebte zu werfen. Denn auf diese Weise lasse sich die emotionale Ausnahmesituation, die man durchlaufen habe, auch verarbeiten, sind sich Einsatzleiterin Barbara Hallmann und Psychologin Leonie Rath einig.
Presseanfragen
Pressestelle des LKH-Univ. Klinikum Graz
Mag. Simone Pfandl-Pichler
Auenbruggerplatz 1, 8036 Graz
Telefon: +43 316 385-87791
Fax: +43 316 385-16942
Downloads
Abdruck kostenfrei unter korrekter Angabe des Fotocredits: