"Ein operiertes Herz ist ein gesundes Herz"

Pressemitteilung

Zum 60. Mal jĂ€hrt sich am 19. November am LKH-Univ. Klinikum Graz der Tag der ersten offenen herzchirurgischen OP in Österreich, bei der eine Herz-Lungen-Maschine zum Einsatz gekommen ist. Damals wurde ein „Blaues Baby“ von den Pionieren Univ.-Prof. Dr. Franz Spath und Univ.-Prof. Dr. Julius Kraft-Kinz operiert. Ein halbes Jahr danach hat das Team bei der 22-JĂ€hrigen Elfriede Gary den Geburtsfehler ebenfalls mit einer derartigen OP korrigiert. Durch den Eingriff geht es der Grazerin auch heute, 60 Jahre danach, sehr gut. Aktuell zĂ€hlen diese OPs zum Standardrepertoire der Grazer Herzchirurg*innen, die heute gemeinsam mit ihren Kolleg*innen vom UniversitĂ€ren Herzzentrum Graz das gesamte Spektrum an herzmedizinischen Behandlungen und damit „Herzmedizin aus einer Hand“ anbieten können.

„Ein operiertes Herz ist ein gesundes Herz!“ Mit diesem Satz stellte Univ.-Prof. Dr. Franz Spath (Chirurgievorstand 1947–1970) Anfang der 1970er-Jahre der Leiterin der Krankenschwestern-schule gegenĂŒber mit Nachdruck klar, dass seine Patientin Elfriede Gary die Schule sehr wohl problemlos absolvieren kann. „Ich war sehr dankbar dafĂŒr, denn damals reagierten viele skeptisch, wenn sie gehört haben, dass ich am Herzen operiert worden war“, erzĂ€hlt die Grazerin und erinnert sich an die Zeit vor der OP. Sie erzĂ€hlt von der Lehre, die man ihr aufgrund ihres Herzfehlers verwehrte, von abwertenden Bemerkungen, die ihre Eltern wegen der schwachen, körperlichen Konstitution ihrer Tochter zu hören bekamen und der lapidaren ErklĂ€rung, die man ihnen irgendwann auftischte, als sie wissen wollten, warum ihre Tochter u. a. so kraftlos ist, an Atemnot leidet und immer eine sehr fahle, ja fast blĂ€uliche Gesichtsfarbe hat: „Sie haben halt ein Blaues Baby. Finden Sie sich damit ab!“

Elfriede Gary tat das nicht. Sie hielt Augen und Ohren offen und kontaktierte Prof. Spath postwendend, nachdem sie von seiner Profession erfahren hatte. Über die Pionierleistung der Grazer Herzchirurgen, d. h. der am 19. November 1962 durchgefĂŒhrten offenen Herz-OP mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, titelte die Kleine Zeitung damals ĂŒbrigens: „Blaues Baby in Graz operiert. Herz-Lungenmaschine zum ersten Mal eingesetzt.“ Spath nahm sich Garys an und korrigierte ihren Herzfehler – eine „Fallotsche Tetralogie“ – gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Julius Kraft-Kinz (Chirurgievorstand 1970-1996) und zwei MĂŒnchner Chirurgen im MĂ€rz 1963. Die gesundheitlichen Probleme, die die gebĂŒrtige Obersteirerin aufgrund des Geburtsfehlers bis dahin gehabt hatte, waren fortan Geschichte.

Die Behandlung der Blauen Babys

„Die ,Fallotsche Tetralogie‘ zĂ€hlt zu den so genannten ,Zyanotischen Herzfehlern‘“, erklĂ€rt Univ.-Prof. Dr. Daniel Zimpfer, der die Klinische Abteilung fĂŒr Herzchirurgie des LKH-Univ. Klinikum Graz leitet. Dabei, so fĂ€hrt er fort, sei das Herz-Kreislaufsystem der Patient*innen z. B. durch eine angeborene Fehlstellung der großen Arterien gestört. „Das sauerstoffarme Blut umfließt deshalb die Lunge, kommt somit direkt in den Körperkreislauf und lĂ€sst die Haut der Patient*innen blĂ€ulich erscheinen. Das ist wiederum der Grund, weshalb die Betroffenen auch als ,Blaue Babys‘ bezeichnet werden“, erklĂ€rt der Herzchirurg. FrĂŒher sei die Sterblichkeitsrate bei diesen Kindern sehr hoch gewesen, nur ein Bruchteil der Kleinen habe das Erwachsenenalter erreicht. „Heute können wir großartige Therapien anbieten, sodass mehr als 90 Prozent aller Betroffenen bei exzellenter LebensqualitĂ€t erwachsen werden“, sagt Zimpfer und verweist in dem Zusammenhang auch auf eine ganz spezielle Ambulanz, die es am Uniklinikum seit 2002 gibt: die Spezialambulanz fĂŒr Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH). JĂ€hrlich werden dort etwa 400 Patient*innen betreut, wobei die Zahl stĂ€ndig im Steigen ist – wohl auch ein Beweis dafĂŒr, was die moderne Herzmedizin im Stande ist zu leisten.
„Die Betreuung dieser Patient*innen ist auch ein perfektes Beispiel dafĂŒr, wie die Expert*innen der Herzmedizin erfolgreich zusammenarbeiten können. Dazu zĂ€hlen Herzchirurg*innen, speziell ausgebildete AnĂ€sthesist*innen, Kardiolog*innen und Kinderkardiolog*innen“, erklĂ€rt Univ.-Prof. DDr. Gerhard Stark, KAGES-Vorstandsvorsitzender, dem als Internist, wie er hinzufĂŒgt, der große medizinische Bereich rund um das berĂŒhmteste menschliche Organ besonders am Herzen liegt. Daher freut es ihn auch besonders, dass u. a. die Ressourcen der EMAH im Rahmen des 2020 gegrĂŒndeten UniversitĂ€ren Herzzentrum Graz (UHZG, siehe Infobox) aufgestockt werden konnten. Das UHZG sieht er als echten Meilenstein und wegweisend fĂŒr die Zukunft der Herzmedizin. „Es ist das einzige seiner Art in Österreich und vereint als Schnittstelle von LKH-Univ. Klinikum Graz und der Med Uni Graz die klinische Expertise mit Wissenschaft und Lehre“, so Stark. Auch die technische Topausstattung, die Herzmediziner*innen vom Uniklinikum vorfinden, sucht ihresgleichen. Die bestehenden zwei Hybrid-OPs bieten u. a. den Raum, in dem exzellente, herzmedizinische Eingriffe ĂŒberhaupt möglich sind. „Wir hatten in Österreich den ersten dieser Art. Ein OP-Saal, der gleichzeitig Katheterlabor ist, in dem alle Schulter an Schulter an der Patientin/am Patienten arbeiten und damit das Beste aus beiden Welten anbieten. Das ist die Zukunft der Herzmedizin“, steht auch fĂŒr Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Tscheliessnig (Chirurgievorstand 1996–2012) außer Frage.

Die Herz-Lungen-Maschine (HLM) anno 1962 und heute

 

Seit 1962 wurden etwa 36.500 große herzchirurgische Eingriffe am LKH-Univ. Klinikum Graz durchgefĂŒhrt, aktuell sind es pro Jahr ca. 800-900 mit Einsatz der HLM. Insgesamt werden am UHZG pro Jahr mehrere tausend Patient*innen betreut, wobei mehr MĂ€nner als Frauen behandelt werden. Etwa 90 Herz-OPs fĂŒhren die Grazer Herzmediziner*innen pro Jahr bei Kindern durch.

Insgesamt besitzt das Uniklinikum derzeit acht HLMs, deren Grundfunktionen sich mit jenen des Modells aus 1962 decken: Blut pumpen, mit Sauerstoff anreichern und CO2 eliminieren. „Diese Maschinen waren aber sehr störanfĂ€llig und in Hinblick auf VerlĂ€sslichkeit, Anwender-freundlichkeit, GrĂ¶ĂŸe, Sicherheit etc. nicht mit modernen HLMs vergleichbar. Dennoch: Die Grazer Maschine hat funktioniert. Das war auch der Grund, weshalb die erste Operation damit hier in der steirischen Landeshauptstadt durchgefĂŒhrt wurde. Wien hatte ein technisches Problem und konnte deshalb erst Wochen nach den Grazern starten“, erzĂ€hlt Zimpfer.

 

Die ersten Eingriffe wurden im August 1963 von Spath, Kraft-Kinz und den MĂŒnchner Kollegen im „Bericht ĂŒber die ersten 20 mit der Herz-Lungen-Maschine operierten Fehlbildungen des Herzens“ publiziert. „Diese viel beachtete, wissenschaftliche Publikation war der Start fĂŒr die höchst erfolgreiche Entwicklung der Grazer Herzchirurgie zu einem hochspezialisierten universitĂ€ren Zentrum“, erklĂ€rt der Rektor der Med Uni Graz, Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg. Die spitzenmedizinische Versorgung und die umfassende Forschungsleistung aus sechs Jahrzehnten Grazer Herzchirurgie sowie die aktuellen Leistungen der Herz-mediziner*innen garantieren fĂŒr ihn auch, dass angehende Ärztinnen und Ärzte ein Herz fĂŒr dieses Fach entwickeln können. „Dem Grundsatz der Med Uni Graz entsprechend: Pioneering Minds, Research and Education for Patients' Health and Well-being“, so der Rektor.

Ob kĂŒnftige oder derzeit praktizierende Herzmediziner*innen – den Satz „Jedes operierte Herz ist ein gesundes Herz“ wĂŒrden die Expert*innen im dritten Jahrtausend wohl nicht mehr unterschreiben. Dennoch sind die Möglichkeiten heute so umfangreich wie nie zuvor. „Die Herzmedizin wurde durch die VerfĂŒgbarkeit von interventionellen Klappentherapien revolutioniert. Uns steht ein noch nie da gewesenes Portfolio von Therapien zur VerfĂŒgung. Aber klar ist, um unseren Patient*innen maßgeschneiderte Therapien anbieten zu können, mĂŒssen alle Spezialist*innen eng zusammenarbeiten. Die Disziplinen mĂŒssen sich wandeln, mĂŒssen nĂ€her zusammenwachsen, ja eventuell sogar verschmelzen, um letztlich ihre gemeinsamen Expertisen an einer Univ.-Klinik fĂŒr Herzmedizin entfalten zu können“, zeichnet Herzchirurg Zimpfer abschließend das Bild der Herzmedizin der Zukunft. Das LKH-Univ. Klinikum Graz und die Med Uni Graz haben mit dem UHZG eindeutig die Weichen dafĂŒr gestellt.

„Herzchirurgie am LKH-Univ. Klinikum Graz“: Zahlen, Daten & Fakten
  • 19. 11. 1962: erste offene Herz-OP in Österreich mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine
  • 1983: erste „Orthotope Herztransplantation“ in Österreich, d. h. die erste, bei der das alte Herz komplett entfernt wurde. Zuvor wurde in Innsbruck schon ein Herz transplantiert, allerdings mit der sogenannten „Huckepack Technik“, bei der das Herz der/des Patient*in im Körper belassen wird. Diese Technik wurde aber nur kurz verwendet, da sie viele Nachteile mit sich brachte.
  • 1990: erste „Dynamische Kardiomyoplastie“ im deutschsprachigen Raum
  • 2020: GrĂŒndung des UniversitĂ€ren Herzzentrum Graz (UHZG). Es ist das erste funktionelle universitĂ€re Herzzentrum, das Portfoliomedizin aus einer Hand anbietet und klinische Expertise mit Lehre und Forschung unter einem Dach vereint (siehe unten).

Seit der ersten OP mit Herz-Lungen-Maschine wurden am Uniklinikum rund 36.500 große herzchirurgische Eingriffe durchgefĂŒhrt, aktuell sind es pro Jahr ca. 800-900 mit Einsatz der HLM. Dabei war die koronare Bypass-Operation in den vergangenen zehn Jahren der hĂ€ufigste Eingriff. Bei dieser OP werden Engstellen in den HerzkranzgefĂ€ĂŸen (Koronararterien) mithilfe von BlutgefĂ€ĂŸen ĂŒberbrĂŒckt, die an anderer Stelle entnommen wurden.
Heuer wurden von JĂ€nner bis September 2022 in Summe bereits 1.822 herzmedizinische Eingriffe und somit ca. acht Operationen pro Tag im Herz-OP durchgefĂŒhrt. Dazu zĂ€hlen neben der klassischen offenen Herzoperation, die TAVIs (Transcatheter Aortic Valve Implantation, bei der eine spezielle Herklappenprothese eingesetzt wird) sowie das Setzen von Schrittmachern, DEFIs (implantierte Defibrillatoren zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen) sowie der Austausch von Schrittmachern. Insgesamt werden am UHZG pro Jahr mehrere tausend Patient*innen betreut.

Das UniversitÀre Herzzentrum Graz (UHZG)

Seit 2020 bĂŒndeln im UHZG die Herzspezialist*innen des LKH-Univ. Klinikum Graz sowie der Med Uni Graz ihre Expertisen und sorgen gemeinsam dafĂŒr, dass die Versorgung von Patient*innen auf höchstem Niveau garantiert, die internationale Forschungsarbeit forciert und in eine Topausbildung von Herzmediziner*innen investiert wird. Das UHZG ist die Schnittstelle zwischen klinischer Betreuung, Wissenschaft und Lehre und eines der wenigen Zentren dieser Art in ganz Europa.
Konkret sind vier klinische Abteilungen im Zentrum involviert und arbeiten im „center for cardiovascular science“ mit den Forschungszentren und diagnostischen Instituten der Med Uni Graz zusammen: die Klinische Abteilung fĂŒr Herzchirurgie, jene fĂŒr Kardiologie, jene fĂŒr pĂ€diatrische Kardiologie und jene fĂŒr Herz-, Thorax-, GefĂ€ĂŸchirurgische AnĂ€sthesiologie. PrĂ€zisionsmedizin ist das oberste wissenschaftliche Ziel, wobei das Hauptaugenmerk auf der Biomarkerforschung im Bereich von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und in der Weiterentwicklung von Herzersatz und Herzregeneration liegt. Im Forschungsfokus stehen vor allem bioregenerative TherapieansĂ€tze wie mitwachsende kĂŒnstliche Herzklappen.
Die Grazer Herzspezialist*innen stehen fĂŒr Patient*innenanfragen unter +43 316 385-82820 zur VerfĂŒgung.

Kontakt

Pressestelle des LKH-Univ. Klinikum Graz
Mag. Simone Pfandl-Pichler
Auenbruggerplatz 1, 8036 Graz

Telefon: +43 316 385-87791
Fax: +43 316 385-16942

simone.pichler@uniklinikum.kages.at

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